Zitate aus dem jetzt rechtskräftig gewordenen Urteil vom 29.09.2022:
"In dem Rechtsstreit
(...), 13129 Berlin - Kläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte (...)
gegen
1) VABB - Vereinte Anwohner von Berlin-Blankenburg e.V.,
vertreten durch d. Vorstände (...) und (...), 13129 Berlin - Beklagter -
2) Wolfgang P., (...), 13129 Berlin - Beklagter -
Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2: Rechtsanwälte (...)
hat das Landgericht Berlin - Zivilkammer 27 - (...) aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2022 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine Bildberichterstattung der Beklagten.
Der Kläger ist Bürger aus (...) und engagiert sich im Verein „Garten- und Siedlerfreunde der Anlage
Blankenburg e.V.“. dort ist er Mitglied der AG Fachwissen. (...)
Der Beklagte zu 1) ist ein Verein, der im Internet unter der URL: https://Berlin-Blankeburg.de ein Webportal
zu dem Berliner Vorort Blankenburg betreibt, auf dem er Nachrichten zu Blankenburger Themen veröffentlicht.
Der Beklagte zu 2) ist der Chefredakteur des Webportals.
Der Beklagte zu 1) veröffentlichte auf der unter der URL https://berlin-blankenburg.de abrufbaren Homepage
folgendes Foto, auf welchen u.a. der Kläger zu sehen ist.
(...)
(...)
Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden
Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten,
zu untersagen, das nachfolgend wiedergegebenen Bildnis des Klägers öffentlich zur Schau zu stellen,
(...)
wenn dies wie wir nachfolgend eingeblendeten Homepage des Beklagten zu 1 geschieht:
2. die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.295,43 € nebst Zinsen in Höhe von 9
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
(...)
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
1.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Unterlassung. Er kann insbesondere nicht gemäß §§ 823 Abs. 1,
1004 BGB analog i.V.m. §§ 22, 23 KUG von dem Beklagten verlangen, die Veröffentlichung seines Bildnisses zu
unterlassen.
a.
Die Veröffentlichung des Fotos war jedenfalls gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zulässig. Nach dieser Vorschrift
dürfen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte verbreitet werden, sofern berechtigte Interessen des
Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). (...)
Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt,
ist der Begriff des Zeitgeschehens. Der Begriff des Zeitgeschehens darf nicht zu eng verstanden werden.
Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er nicht nur Vorgänge von historisch-politischer
Bedeutung, sondern ganz allgemein das Geschehen der Zeit, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem
Interesse. Er wird mithin vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt. Es gehört zum Kern der Presse- und
Meinungsfreiheit, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können,
was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht. Im Rahmen einer zulässigen Berichterstattung
steht es den Medien demnach grundsätzlich frei, Textberichte durch Bilder zu illustrieren. Es ist Sache der
Medien, über Art und Weise der Berichterstattung und ihre Aufmachung zu entscheiden. Sie haben das Recht,
Art und Ausrichtung, Inhalt und Form eines Publikationsorgans frei zu bestimmen. Eine Bedürfnisprüfung, ob
eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt. Bildaussagen nehmen am verfassungsrechtlichen Schutz des
Berichts teil, dessen Bebilderung sie dienen. Ein Informationsinteresse besteht jedoch nicht schrankenlos,
vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
begrenzt. Wo konkret die Grenze für das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der aktuellen
Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls
entscheiden. Im Rahmen der Abwägung ist von maßgeblicher Bedeutung, ob die Medien im konkreten Fall eine
Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch
des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen. Je größer der Informationswert
für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter
den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit
des Betroffenen umso schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist. Der Informationsgehalt
einer Bildberichterstattung ist im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, zu ermitteln,
insbesondere unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung. Daneben sind für die Gewichtung der
Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit
einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene
erfasst und wie er dargestellt wird.
b.
Nach diesen Grundsätzen ist der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in seiner Ausprägung
als Recht am eigenen Bild durch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt. Bei dem
Stadtentwicklungs- und Neubauprojekt Blankenburger Süden handelt es sich um einen Berichtsgegenstand, dem
zumindest regional ein besonders hoher Informationswert zukommt. Dies ergibt sich neben der Tatsache, dass
es sich um eines der größten Stadtentwicklungsprojekte in Berlin handelt, bereits daraus, dass die Beklagten
in erheblichem Umfang über das Stadtentwicklungsprojekt berichten und der Kläger sich ehrenamtlich in
einem Verein engagiert, der sich an dem politischen Entwicklungsprozess und der dazugehörigen öffentlichen
und medialen Diskussion aktiv beteiligt.
Auf der anderen Seite ist eine ebenso hohe Intensität des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des
Klägers nicht ersichtlich. Zwar ist die Beeinträchtigung nicht unerheblich, weil der Kläger auf dem Foto
aufgrund der Positionierung und seines seitlich zur Kamera gedrehten Blicks klar erkennbar ist. Dies hat er
nach den Umständen des Einzelfalls jedoch hinzunehmen. Der Kläger engagiert sich ehrenamtlich für den Verein
„Garten- und Siedlerfreunde der Anlage Blankenburg e.V.“ und nahm für diesen an einer öffentlichen
Podiumsdiskussion mit eingeladenen Politikern zu Themen wie Bürgerbeteiligung, Verkehr und städtebauliche
Vorhaben im Rahmen des Stadtentwicklungsprojekts Blankenburger Süden teil, anlässlich derer das
streitbefangene Bildnis aufgenommen wurde. Der Kläger repräsentiert den Verein „Garten- und Siedlerfreunde der
Anlage Blankenburg e.V.“ dementsprechend öffentlich, auch wenn er kein in der Satzung niedergelegtes Amt bekleidet.
Eine erhöhte Eingriffsintensität ergibt sich auch nicht im Zusammenhang mit der Wortberichterstattung. Selbst
wenn sich die Wortberichterstattung, welche mit dem streitgegenständlichen Bildnis des Klägers bebildert wird,
nicht mit der Podiumsdiskussion beschäftigt, anlässlich derer das Bildnis entstanden ist, so ist die Verwendung
dennoch als kontext-gerechtes bzw. kontextneutrales Bildnis zulässig, da der Aussagegehalt dem zu berichtenden
Ereignis gerecht wird und dadurch keine zusätzliche Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers bewirkt wird.
Der Beitrag beschäftigt sich mit dem „Alter“ des Vereins und wirft dem Vorstand diesbezüglich eine
„gewohnheitsmäßige Täuschung und Irreführung der Öffentlichkeit“ vor. Ferner wird das politische Engagement des
Vereinsvorstands als politisches In-den-Vordergrund-Drängen kritisiert. Sodann wird die Stasi-Vergangenheit der
Vorstandsvorsitzenden und des Rechtsanwalts des Vereins thematisiert und der Kläger als einzig öffentlich
auftretendes Mitglied der AG Fachwissen benannt. Eine Aussage zu einer Stasi-Vergangenheit des Klägers trifft
der Beitrag nicht. Auch die Verwendung des schwarzen Kastens unter dem Bildnis des Klägers, der ebenfalls bei
den Bildnissen der beiden anderen Vereinsmitglieder vorhanden ist und bei diesen den Zeitraum und die Abteilung
des Ministeriums für Staatsicherheit benennt, in welchem die Personen angeblich tätig gewesen sind, leitet der
unbefangene Durchschnittsleser gerade nicht ab, dass auch der Kläger eine wie auch immer geartete
Stasi-Vergangenheit besitzt. Soweit der Kläger meint, dass durch die Bearbeitung des Bildes und die Verwendung
des schwarzen Kastens unter dem Bildnis des Klägers der Eindruck erweckt werde, der Kläger hätte ebenfalls eine
Stasi-Vergangenheit, so ist dieser jedenfalls nicht unabweislich (BGH, Urteil v. 26.10.1999, VI ZR 322/98,
AfP 2000, 88, juris Rn. 18, m.w.N.).
Soweit der Kläger ausführt, der Artikel vermittle weiterhin den Eindruck, der Kläger hätte etwas mit den
„gewohnheitsmäßigen Täuschungen“ und der „Irreführung der Öffentlichkeit“ durch den Vorstand etwas zu tun bzw.
wäre an diesen beteiligt, so drängt sich diese Schlussfolgerung ebenfalls nicht unabweislich auf (BGH, Urteil
v. 26.10.1999, VI ZR 322/98, AfP 2000, 88, juris Rn. 18, m.w.N.). Vielmehr enthält der Artikel hinsichtlich des
Klägers selbst über dessen Mitgliedschaft in der AG Fachwissen hinaus keine weitere Information.
In der Abwägung überwiegt daher das Berichterstattungsinteresse der Beklagten das Schutzinteresse des Klägers,
sodass es sich bei dem veröffentlichten Foto um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Das
Gewicht des Persönlichkeitsrechtseingriffs wird im Wesentlichen von der Identifizierbarkeit des Klägers auf
dem Foto bestimmt, ohne dass eine ungerechtfertigte Verknüpfung zu der Stasi-Vergangenheit der weiteren
Vereinsmitglieder oder zu den Handlungen des Vereinsvorstands intensitätserhöhend wirkt. Dem steht in der
Abwägung der willentliche Entschluss des Klägers entgegen, aktiver und öffentlich auftretender Teil des
Vereins Verein „Garten- und Siedlerfreunde der Anlage Blankenburg e.V.“ zu sein. Zu berücksichtigen ist zudem
das erhebliche Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem Stadtentwicklungsprojekt, das sich auch auf
eine Bildberichterstattung erstreckt. Dass die Beklagte die weiteren auf dem Bild abgebildeten Personen
unkenntlich gemacht hat, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Die Bildauswahl bzw. teilweise
Unkenntlichmachung von Personen ist gerade Teil der grundrechtlich geschützten Meinungs- und Pressefreiheit.
Durch die Verwendung des Bildnisses werden berechtigte Interessen des Klägers nicht verletzt, § 23 Abs. 2 KUG.
2.
Mangels Anspruch in der Hauptsache hat der Kläger gegen die Beklagten auch keinen Anspruch auf Erstattung der
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 823 Abs. 1, 249 ff. BGB.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus
§ 709 ZPO.
(...)
Verkündet am 29.09.2022
(...)"
[Redaktion | 13.02.2023]