Berlin-Blankenburg

Gerichtsurteile zur Pressefreiheit vor Ort

Entscheidung vom 6. Februar 2023 klärt Gerichtsstreit
zur Berichterstattung "Der Fall Erholungsanlage"


Das Kammergericht bestätigte am 06.02.2023 das Urteil der Pressekammer beim Landgericht Berlin vom 29.09.2022 zur Rechtmäßigkeit der Bildveröffentlichung in der Berichterstattung vom 25.01.2021 unter "13. - Zum 'Garten- und Siedlerfreunde Anlage Blankenburg e.V.' - 3. Teil - C -" (siehe unten).

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Auszug aus dem Beschluss des Kammergerichts vom 06.02.2023:

"Die Berufung des Klägers
gegen das am 29. September 2022 verkündete
Urteil des Landgerichts Berlin - 27 O 263/21 -
wird auf seine Kosten zurückgewiesen."



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Zitate aus dem jetzt rechtskräftig gewordenen Urteil vom 29.09.2022:

"In dem Rechtsstreit
(...), 13129 Berlin - Kläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte (...)
gegen
1) VABB - Vereinte Anwohner von Berlin-Blankenburg e.V.,
vertreten durch d. Vorstände (...) und (...), 13129 Berlin - Beklagter -
2) Wolfgang P., (...), 13129 Berlin - Beklagter -
Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2: Rechtsanwälte (...)

hat das Landgericht Berlin - Zivilkammer 27 - (...) aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2022 für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine Bildberichterstattung der Beklagten.
Der Kläger ist Bürger aus (...) und engagiert sich im Verein „Garten- und Siedlerfreunde der Anlage Blankenburg e.V.“. dort ist er Mitglied der AG Fachwissen. (...)

Der Beklagte zu 1) ist ein Verein, der im Internet unter der URL: https://Berlin-Blankeburg.de ein Webportal zu dem Berliner Vorort Blankenburg betreibt, auf dem er Nachrichten zu Blankenburger Themen veröffentlicht. Der Beklagte zu 2) ist der Chefredakteur des Webportals.

Der Beklagte zu 1) veröffentlichte auf der unter der URL https://berlin-blankenburg.de abrufbaren Homepage folgendes Foto, auf welchen u.a. der Kläger zu sehen ist.
(...)
(...)

Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu untersagen, das nachfolgend wiedergegebenen Bildnis des Klägers öffentlich zur Schau zu stellen,
(...)
wenn dies wie wir nachfolgend eingeblendeten Homepage des Beklagten zu 1 geschieht:



2. die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.295,43 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
(...)

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Unterlassung. Er kann insbesondere nicht gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog i.V.m. §§ 22, 23 KUG von dem Beklagten verlangen, die Veröffentlichung seines Bildnisses zu unterlassen.

a.
Die Veröffentlichung des Fotos war jedenfalls gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zulässig. Nach dieser Vorschrift dürfen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte verbreitet werden, sofern berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). (...) Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Der Begriff des Zeitgeschehens darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Geschehen der Zeit, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Er wird mithin vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt. Es gehört zum Kern der Presse- und Meinungsfreiheit, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht. Im Rahmen einer zulässigen Berichterstattung steht es den Medien demnach grundsätzlich frei, Textberichte durch Bilder zu illustrieren. Es ist Sache der Medien, über Art und Weise der Berichterstattung und ihre Aufmachung zu entscheiden. Sie haben das Recht, Art und Ausrichtung, Inhalt und Form eines Publikationsorgans frei zu bestimmen. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt. Bildaussagen nehmen am verfassungsrechtlichen Schutz des Berichts teil, dessen Bebilderung sie dienen. Ein Informationsinteresse besteht jedoch nicht schrankenlos, vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Wo konkret die Grenze für das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls entscheiden. Im Rahmen der Abwägung ist von maßgeblicher Bedeutung, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen. Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen umso schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist. Der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung ist im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, zu ermitteln, insbesondere unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung. Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird.
b.
Nach diesen Grundsätzen ist der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in seiner Ausprägung als Recht am eigenen Bild durch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt. Bei dem Stadtentwicklungs- und Neubauprojekt Blankenburger Süden handelt es sich um einen Berichtsgegenstand, dem zumindest regional ein besonders hoher Informationswert zukommt. Dies ergibt sich neben der Tatsache, dass es sich um eines der größten Stadtentwicklungsprojekte in Berlin handelt, bereits daraus, dass die Beklagten in erheblichem Umfang über das Stadtentwicklungsprojekt berichten und der Kläger sich ehrenamtlich in einem Verein engagiert, der sich an dem politischen Entwicklungsprozess und der dazugehörigen öffentlichen und medialen Diskussion aktiv beteiligt.

Auf der anderen Seite ist eine ebenso hohe Intensität des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht ersichtlich. Zwar ist die Beeinträchtigung nicht unerheblich, weil der Kläger auf dem Foto aufgrund der Positionierung und seines seitlich zur Kamera gedrehten Blicks klar erkennbar ist. Dies hat er nach den Umständen des Einzelfalls jedoch hinzunehmen. Der Kläger engagiert sich ehrenamtlich für den Verein „Garten- und Siedlerfreunde der Anlage Blankenburg e.V.“ und nahm für diesen an einer öffentlichen Podiumsdiskussion mit eingeladenen Politikern zu Themen wie Bürgerbeteiligung, Verkehr und städtebauliche Vorhaben im Rahmen des Stadtentwicklungsprojekts Blankenburger Süden teil, anlässlich derer das streitbefangene Bildnis aufgenommen wurde. Der Kläger repräsentiert den Verein „Garten- und Siedlerfreunde der Anlage Blankenburg e.V.“ dementsprechend öffentlich, auch wenn er kein in der Satzung niedergelegtes Amt bekleidet.

Eine erhöhte Eingriffsintensität ergibt sich auch nicht im Zusammenhang mit der Wortberichterstattung. Selbst wenn sich die Wortberichterstattung, welche mit dem streitgegenständlichen Bildnis des Klägers bebildert wird, nicht mit der Podiumsdiskussion beschäftigt, anlässlich derer das Bildnis entstanden ist, so ist die Verwendung dennoch als kontext-gerechtes bzw. kontextneutrales Bildnis zulässig, da der Aussagegehalt dem zu berichtenden Ereignis gerecht wird und dadurch keine zusätzliche Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers bewirkt wird. Der Beitrag beschäftigt sich mit dem „Alter“ des Vereins und wirft dem Vorstand diesbezüglich eine „gewohnheitsmäßige Täuschung und Irreführung der Öffentlichkeit“ vor. Ferner wird das politische Engagement des Vereinsvorstands als politisches In-den-Vordergrund-Drängen kritisiert. Sodann wird die Stasi-Vergangenheit der Vorstandsvorsitzenden und des Rechtsanwalts des Vereins thematisiert und der Kläger als einzig öffentlich auftretendes Mitglied der AG Fachwissen benannt. Eine Aussage zu einer Stasi-Vergangenheit des Klägers trifft der Beitrag nicht. Auch die Verwendung des schwarzen Kastens unter dem Bildnis des Klägers, der ebenfalls bei den Bildnissen der beiden anderen Vereinsmitglieder vorhanden ist und bei diesen den Zeitraum und die Abteilung des Ministeriums für Staatsicherheit benennt, in welchem die Personen angeblich tätig gewesen sind, leitet der unbefangene Durchschnittsleser gerade nicht ab, dass auch der Kläger eine wie auch immer geartete Stasi-Vergangenheit besitzt. Soweit der Kläger meint, dass durch die Bearbeitung des Bildes und die Verwendung des schwarzen Kastens unter dem Bildnis des Klägers der Eindruck erweckt werde, der Kläger hätte ebenfalls eine Stasi-Vergangenheit, so ist dieser jedenfalls nicht unabweislich (BGH, Urteil v. 26.10.1999, VI ZR 322/98, AfP 2000, 88, juris Rn. 18, m.w.N.).

Soweit der Kläger ausführt, der Artikel vermittle weiterhin den Eindruck, der Kläger hätte etwas mit den „gewohnheitsmäßigen Täuschungen“ und der „Irreführung der Öffentlichkeit“ durch den Vorstand etwas zu tun bzw. wäre an diesen beteiligt, so drängt sich diese Schlussfolgerung ebenfalls nicht unabweislich auf (BGH, Urteil v. 26.10.1999, VI ZR 322/98, AfP 2000, 88, juris Rn. 18, m.w.N.). Vielmehr enthält der Artikel hinsichtlich des Klägers selbst über dessen Mitgliedschaft in der AG Fachwissen hinaus keine weitere Information.

In der Abwägung überwiegt daher das Berichterstattungsinteresse der Beklagten das Schutzinteresse des Klägers, sodass es sich bei dem veröffentlichten Foto um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Das Gewicht des Persönlichkeitsrechtseingriffs wird im Wesentlichen von der Identifizierbarkeit des Klägers auf dem Foto bestimmt, ohne dass eine ungerechtfertigte Verknüpfung zu der Stasi-Vergangenheit der weiteren Vereinsmitglieder oder zu den Handlungen des Vereinsvorstands intensitätserhöhend wirkt. Dem steht in der Abwägung der willentliche Entschluss des Klägers entgegen, aktiver und öffentlich auftretender Teil des Vereins Verein „Garten- und Siedlerfreunde der Anlage Blankenburg e.V.“ zu sein. Zu berücksichtigen ist zudem das erhebliche Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem Stadtentwicklungsprojekt, das sich auch auf eine Bildberichterstattung erstreckt. Dass die Beklagte die weiteren auf dem Bild abgebildeten Personen unkenntlich gemacht hat, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Die Bildauswahl bzw. teilweise Unkenntlichmachung von Personen ist gerade Teil der grundrechtlich geschützten Meinungs- und Pressefreiheit.

Durch die Verwendung des Bildnisses werden berechtigte Interessen des Klägers nicht verletzt, § 23 Abs. 2 KUG.

2.
Mangels Anspruch in der Hauptsache hat der Kläger gegen die Beklagten auch keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 823 Abs. 1, 249 ff. BGB.

3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

(...)
Verkündet am 29.09.2022
(...)"
(Die vollständige anonymisierte Kopie des Landgerichts-Urteils auf Anfrage)


[Redaktion | 13.02.2023]




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